In bestimmten Branchen gibt es nach wie vor unterschiedliche Kündigungsfristen für Angestellte und Arbeiter:innen
Die Harmonisierung der Rechte von Angestellten und Arbeiter:innen steht bereits seit Jahrzehnten auf der Agenda des Gesetzgebers. Die Umsetzung dieses Projekts erfolgte schrittweise, wobei der vorläufig letzte Schritt im Herbst 2017 gesetzt wurde. Damals beschloss das Parlament, die für Arbeiter:innen geltenden Kündigungsregelungen an jene für Angestellten anzugleichen. Wegen der COVID-19-Pandemie trat die Novelle erst mit 01.10.2021 in Kraft.
Ausnahme für Saisonbranchen
Allerdings kommt nicht jede/r Arbeiter:in in den Genuss der (längeren) Kündigungsfristen bei AG-Kündigung. Für Branchen, in denen die „Saisonbetriebe“ überwiegen, wurde nämlich den Sozialpartnern erlaubt, von den neuen gesetzlichen Regelungen durch Kollektivvertrag zu Lasten der Arbeiter:innen abzuweichen. Davon haben zahlreiche Kollektivverträge Gebrauch gemacht, wobei in den meisten Fällen der Status quo bewahrt werden sollte.
In einer aufsehenerregenden Entscheidung sah es jedoch der OGH im Jahr 2019 (9 ObA 116/21f) für nicht erwiesen an, dass in der Hotel- und Gastrobranche Saisonbetriebe überwiegen und daher die Ausnahmeregelung zur Anwendung kommt. Damit können sich Unternehmen bei der Kündigung von Arbeiter:innen seit der Novelle nicht mehr auf die kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfristen berufen.
Mit dieser Entscheidung standen plötzlich auch die zahlreichen anderen Kollektivverträge auf dem Prüfstand, die von der Ausnahmeregel für Saisonbetriebe Gebrauch machten. Es war daher nur eine Frage der Zeit, dass das Höchstgericht mit weiteren Fällen befasst werden würde.
Gesetzesprüfungsantrag des OGH
Mit der Entscheidung vom 14.02.2024 (9 ObA 38/23p) beantragte nun der Oberste Gerichtshof beim VfGH die Prüfung, ob die einschlägigen gesetzlichen Kündigungsregelungen für Arbeiter:innen (§ 1159 ABGB) verfassungskonform sind. Der Antrag zielt auf die Ausnahmeregelung für Saisonbranchen ab, gegen die der OGH wegen ihrer Unbestimmtheit (Verstoß gegen das Legalitätsprinzip) und der mangelnden sachlichen Rechtfertigung (Verstoß gegen den Gleichheitssatz) verfassungsrechtliche Bedenken hegt.
Sollt der VfGH die Ausnahmeregelung des § 1159 Abs 4 letzter Satz ABGB wegen Verfassungswidrigkeit aufheben, so wird er dem Gesetzgeber voraussichtlich eine Frist zur verfassungskonformen Neuregelung einräumen, die 18 Monate nicht überschreiten darf (Art 140 Abs 5 B-VG).
Streichung der Ausnahme für Saisonbranchen?
Wie diese aussehen wird, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Am einfachsten wäre es, die Ausnahmeregelung für Saisonbranchen ersatzlos zu streichen. Damit würden für alle Arbeiter:innen die gleichen Kündigungsregelungen gelten wie für Angestellte.
Es ist jedoch zu erwarten, dass die Wirtschaftskammer für bestimmte Branchen weiterhin die Beibehaltung der kürzeren kollektivvertraglichen Fristen für die Kündigung von Arbeiter:innen verlangen wird. Wie dies mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz in Einklang gebracht werden kann, ist allerdings eine offene Frage.
Nach der oben genannten OGH-Entscheidung aus 2019 liegt der Zweck der Ausnahmeregelung darin, den Unternehmen in Saisonbranchen durch kürzere Kündigungsfristen eine relativ kurzfristige Anpassung des Personalstands zu ermöglichen, wenn und weil (insbesondere witterungsbedingt) branchenspezifisch keine exakt voraussehbare Personalplanung erfolgen kann und auch Befristungsvereinbarungen nicht in jedem Fall ausreichen. Konsequenterweise müsste dies dann aber auch für die Arbeitsverhältnisse von Angestellten in Saisonbetrieben gelten.
Wird die Ausnahme zur Regel?
Aus rechtlicher Sicht könnte eine verfassungskonforme Neuregelung auch den Kollektivvertragsparteien generell die Möglichkeit einräumen, von den gesetzlichen Kündigungsfristen abzuweichen. Eine solche Lösung würde jedoch wohl von der Arbeiterkammer und Gewerkschaft abgelehnt werden.
Es bleibt daher spannend, ob, wie und für wen die Kündigungsfristen letztlich neu geregelt werden. Wir werden Sie jedenfalls an dieser Stelle auf dem Laufenden halten.